Zeitgeist

Occupy-Bewegung" für die Schreibtische und Flure dieser Welt

In einen Interview des Journalisten Daniel Gräfe äußert sich der Buchautor Christoph Bartmann, der Leiter des Goethe-Instituts in New York ist. (Leben im Büro. Hanser Verlag)

Christoph Bartmann beklagt, dass in den 90er Jahren die klassische Bürokratie als zu teuer, zu ineffizient, nur von Nieten erbracht, dargestellt wurde, woraufhin alle Büroangestellten plötzlich zu Dienstleistern, Qualitätsmanagern und Leistungsoptimierern mutierten. „Inzwischen reden wir heute wie ein Josef Ackermann“.

Die Angestellten wenden mittlerweile betriebswirtschaftliche Kriterien an – auch wenn es gar keinen Betrieb gibt, moniert C. Bartmann. „Dabei spielen wir Unternehmer, ohne es gelernt zu haben. Vor allem sind wir Unternehmer unserer selbst. Denn wer sich nicht selbst darstellen kann, der geht bankrott.“ Der Autor stellt fest, es gehe nur noch um die Show. Leistung würde nur noch anerkannt, so sie sich darstellen lässt. Die Sinnstiftung in modernen Büros würde nur noch über PR laufen.  „Früher hat man einfach gearbeitet und kaum etwas präsentiert. Heute wirft man den Beamer an und liefert irgendwelche Zahlen, weil es seriöser klingt“ Wirtschaftlich sei diese Selbstdarstellung eine Katastrophe, da die Präsentationsmaßnahmen während der Arbeitszeit stattfinden, was bei einem Großunternehmen aus Marketing-Gesichtspunkten noch einigermaßen sinnvoll sein mag -meistens sei das aber reine Selbstbeschäftigung, klagt der Angestellte des Goethe Instituts. Bei dieser neuen Bürokratie im öffentlichen Dienst würden z.B. Zahlen frisiert und Indikatoren erfunden um das eigen Dasein zu legitimieren.      

Auf die Frage von Daniel Graefe nach Beispielen antwortet Christoph Bartmann: „Dauernd soll eine neue Software die Arbeitsschritte optimieren. Der Weg von einer Management-Mode zur nächsten ist mit Hunderten Fortbildungen gepflastert, die irrsinnig nutzlos, aber immer immens teuer sind.“….“Ich habe über viele Jahre Erfahrungen mit Unternehmensberatern, Evaluatoren und anderen Parasiten der Arbeit gesammelt. Ständig halten sie uns von der Arbeit ab. Überhaupt scheint es in der Wirtschaft nur noch Berater und Analysten zu geben.

Oder Coaches, die Mentaltrainigs anbieten. Sie alle wollen ja nur helfen, bei der Mitarbeiterführung, der Teambildung, der Organisationsentwicklung. Das ist im Einzelfall vielleicht sinnvoll, aber in der Summe eine Katastrophe. Auf jeden Büroarbeiter kommt heute einer, der die Arbeit analysiert, reflektiert- und behindert…..Es herrschen die Zertifizierungen. Heute will man in der Wirtschaft Zertifikate, um scheinbar Qualität zu erreichen- aber vor allem, um selbst nicht verantwortlich zu sein. Deshalb zertifiziert man praktisch alles, selbst für Gottesdienst gibt es ein Zertifikat. Es gibt eine riesige kostspielige Zertifizierungsindustrie…..Die Beratungsindustrie bläut uns gleichzeitig ein, dass man die Lahmen zum Jagen tragen kann. Schauen Sie sich die unzähligen Ratgeber an: „Verkauf dich!“, „Sei dynamisch!“ „Du kannst nach deinen Regeln spielen!“ Alles Quatsch. Es gibt schlechte und gute Leute. Und manche haben einfach nichts drauf.“

Auf die Frage, was Christoph Bartmann mit seinem Buch erreichen will, sagt er: „Die Leute sollen nicht mehr alles für bare Münze nehmen, was man ihnen einbläuen will. Ich rufe zum Protest. Eine Occupy-Bewegung für die Schreibtische und Flure dieser Welt.“